Odenwaldkreis. Der im Netzgebiet des größten südhessischen Strom- und Gasnetzbetreibers, der e-netz Südhessen AG, erzeugte Ökostrom könnte künftig verstärkt in der Region verbraucht werden. Zu diesem Ergebnis kommt das Forschungsprojekt „Grid4Regio“, das die e-netz Südhessen in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität und der Hochschule in Darmstadt nun erfolgreich beendet hat. Das Team hinter „Grid4Regio“ entwickelte als Ergebnis ein Konzept für ein neuartiges Energiemanagement in der Region Südhessen. Damit ist es von nun an möglich, die Energiewende auch im Bereich der regionalen Stromnetze noch weiter voranzubringen.
Von Ende 2020 bis Frühjahr 2023 beschäftigten sich das Forschungs- und Entwicklungsteam der e-netz Südhessen und seine Forschungspartner mit der Frage, wie überschüssige Energie aus regenerativen Quellen optimal genutzt werden kann. Dass es überhaupt zu einem Überschuss an Ökostrom im regionalen Verteilnetz kommen kann, ist der volatilen wetterabhängigen Einspeisung von Sonnen- und Windenergie geschuldet.
Erzeugen die Anlagen in einer Region mehr regenerative Energie als das Netz vor Ort gerade aufnehmen kann, wird diese in das vorgelagerte Hochspannungs-Stromnetz zur überregionalen Verteilung abgegeben. Sind die dort vorhandenen Netzkapazitäten für den Stromtransport aber bereits ausgeschöpft, müssen Windkraft- und große Photovoltaikanlagen bisher abgeregelt werden, um das Netz zu stabilisieren.
Die Folge: Die Anlagen stehen still, erneuerbar erzeugte Energie geht verloren und kann nicht ins Stromnetz eingespeist werden. Allein in den erneuerbaren Erzeugungsanlagen der ENTEGA konnten im Jahr 2022 deshalb etwa 38.600 Megawattstunden Ökostrom nicht erzeugt werden.
David Petermann, Projektleiter bei der e-netz Südhessen, bringt das neue Konzept auf den Punkt: „Die Idee von Grid4Regio ist naheliegend: Wenn in einer Region zu viel Strom erzeugt wird, sollen zuerst die Verbraucher vor Ort und in der Region bedient werden, und zwar ohne Umweg über die überregionalen Netze. In der aktuellen Praxis wird überschüssiger Strom aus regionalen Windkraftanlagen oft in höhere Netzebenen verteilt oder gar nicht erst erzeugt, wenn die Netze überlastet sind.
Dies führt zu einem geringeren Anteil erneuerbarer Energien und höheren Stromkosten. Überschüssigen Strom in einer Region zuerst direkt auf der Verteilnetzebene an Verbraucher in der Nachbarregion zu liefern und nicht in die nächste Spannungsebene zu leiten, ist heute noch ein innovativer Ansatz, auch weil Ressourcen und Infrastruktur optimal genutzt werden.
In Zukunft könnten damit die Übertragungsnetze entlastet und Abschaltungen von erneuerbaren Energiequellen sowie das Hochspeisen in das Übertragungsnetz von bisher mehreren Wochen pro Jahr vermieden werden“.
So naheliegend die Idee, so relevant ist sie für das Gelingen der Energiewende in den Verteilnetzen. Diese Einschätzung teilen auch die Europäische Union und das Land Hessen – und stellten dem Projekt entsprechende Fördermittel zur Verfügung. Experten der Forschungspartner untersuchten anhand der vorhandenen Infrastruktur und der Flexibilitätspotenziale in den Netzen verschiedene Szenarien, wie die in der Region erzeugte regenerative Energie bei Bedarf mithilfe von Umschaltempfehlungen neu verteilt werden kann.
Ziel war es, die Struktur von benachbarten regionalen Verteilnetzzellen je nach Stromangebot zu ändern. Die Ergebnisse aus dem Projekt „Grid4Regio“ zeigen, dass ein netzdienlicher Flexibilitätseinsatz von regionalen Erzeugern, Speichern und Lasten volkswirtschaftlich sinnvoll ist, also das gesamte Stromsystem damit deutlich effizienter funktioniert.
Lastverteilung des regional erzeugten regenerativen Stroms im Projekt Grid4Regio.
„Leider setzt der Regulierungsrahmen derzeit keine Anreize für Netzbetreiber, den regional erzeugten Strom vor Ort zu verbrauchen. Ein Verbrauch vor Ort vermeidet aber den Transport über längere Strecken und führt damit zu einer Verringerung der Netzverluste. Das wiederum entlastet die ohnehin immer stärker ausgelasteten Übertragungsnetze. Diese Entlastung ist wichtig, da ein Netzausbau damit teils umgangen werden kann“, erklärt David Petermann weiter.
Im Rahmen der Abschlusspräsentation des Projekts zeigte die Forschungsgruppe der e-netz Südhessen Gästen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung Möglichkeiten auf, die theoretischen Erkenntnisse jetzt auch in die Praxis umzusetzen.
So konnte zum Beispiel überschüssige Energie vom Windpark Binselberg gezielt in die Solarsiedlung in Groß-Umstadt/Richen und in ein Wohngebiet in Babenhausen umgeleitet werden. Auch bei der Stromversorgung gibt es nun also einen Trend zur Regionalität. „Grid4Regio“ belegt, dass es der Energiewende dient, wenn Ökostrom dort verbraucht wird, wo er erzeugt wurde: in der Region. red